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© ETA Hofmann Theater Bamberg

Appropriate

Branden Jacobs-Jenkins

DSE, ETA Hofmann Theater Bamberg, Premiere: 05. MAI 2023

Wie kann eine Gesellschaft, die so zerrissen ist wie die US-amerikanische, noch zusammenhalten? Vor allem aber: Welchen Gespenstern aus der Zeit der „Rassentrennung“ muss sie sich heute stellen?

Vor diesen Fragen steht die Familie des verstorbenen Patriarchen Lafayette, als sie nach der Beerdigung die Familienvilla samt umliegendem Anwesen in den Südstaaten versteigern lassen will. Das Haus muss jedoch vor dem Verkauf erst einmal gründlich entrümpelt werden. Denn ihr Vater war augenscheinlich ein Messie. Und Toni und ihre Brüder Bo und Frank müssen sich gezwungenermaßen einigen, wie mit dem Erbe umzugehen ist. Zudem befindet sich in direkter Nachbarschaft ein Friedhof, der den Immobilienwert erheblich mindert. Spukt es vielleicht auch in ihrem Elternhaus?

Bevor jedoch die finanziellen Fragen ansatzweise geklärt werden können, taucht ein Fotoalbum mit verstörenden Bildern von toten Schwarzen auf. Die Familiengeschichte bekommt eine bizarre und rassistische Note. Der Familienbesitz fußt auf Sklaverei und Ausbeutung. Was soll mit den Fotografien geschehen? Sind sie vielleicht Geld wert und so die Rettung aus der Krise? Oder gehören sie eher als historische Zeugnisse ins Museum? Und vor allem: Sollen die Kinder sie zu Gesicht bekommen?
Der 1984 geborene Autor Branden Jacobs-Jenkins hat ein Familiendrama geschrieben, das sich wie eine Mischung aus Tennessee Williams und Henrik Ibsen liest. Jacobs-Jenkins gewann mit seinen Stücken „An Octoroon“ und „Appropriate“ die Obie Awards für das beste Stück, mit seinem Stück „Gloria“ war er 2016 für den Pulitzer Prize for Drama nominiert. „Appropriate“ wurde 2013 gleichzeitig in Chicago und Louisville (Kentucky) uraufgeführt und gehört zu seinen erfolgreichsten Stücken. 

Besetzung & Team

Deutsch von Helmar Harald Fischer

REGIE – Sibylle Broll-Pape
BÜHNE/KOSTÜME – Rainer Sinell
DRAMATURGIE – Armin Breidenbach

Es spielen: Barbara Wurster, Leon Tölle, Jonas Gruber, Alina Rank, Jeanne Le Moign, Adrian Schröter, Annabel Heinl, Milo Heinl, Henri Krauß, Daniel Seniuk, Wiebke Jakubicka-Yervis

Pressestimmen

„Jemand hat kräftig an der Theater-Uhr gedreht seit Williams. So hart Jacobs-Jenkins‘ Familienrealität und -vergangenheit ist: Im Internet gibt es immer weit Schlimmeres. Das Schwierige ist an diesem Text, dessen Pointenfülle nicht auf dem Leim zu gehen und damit in die Schwarz-Weiß-Polarisierung eines perfekten Boulevardstücks hineinzugleiten. Dieser Gefahr entkam die Premiere des ETA Hoffmann Theaters souverän durch emotionale Differenzierung. Dazu hat Ausstatter Rainer Sinell den im Sinne eines poetischen Realismus idealen Bühnenraum geschaffen. Manuela Hertels Videos liefert den sich mit Scherengriffen um das Haus und Streitobjekt legenden Urwald. Wenn die Familienfehde nach drei drastischen Stunden in den Pausenmodus tritt, übernehmen die Zikaden und Zikadenlarven mittels Video das Renaturierungs- und Sanierungsprogramm. Sinells Bühnenpanorama mit der durch weißen Aufstrich sanften Vintage-Tönung und bedachten Requisiten-Setzungen bebildert alle von Jacobs-Jenkins aufgegriffenen Topoi: das verwunschene Haus, die metaphorische Apokalypse, die virtuose Konversationsschlacht.“ […]„Man merkt den Wandel der Zeit auch daran, dass die Onanieszene des sexuell unentschlossenen und an seiner überprotektiven Mutter Tony leidenden Rhys (Leon Tölle) zum Smartphone-Porno eine Szene ist wie jede andere. Oder liegt’s am gelungenen Zugriff durch das brillante Ensemble und die Regie, auch Armin Breidenbachs tiefengeschärfte Dramaturgie? Diese halten die Balance zwischen charakterlicher Schärfung, Dialog-Pingpong und vom Autor evozierter Spiellust ausgezeichnet. Intendantin Sibylle Broll-Pape praktiziert – vor allem das ist ein Vorzug – keine moralische Besserwisserei aus Wolke Sieben. Damit schmeißt sie den Ball mit der Aufforderung zur persönlichen Meinungsbildung mit einer gewissen Härte ins Publikum. Broll-Papes Methode ist ganz einfach, weil sie ein Prinzip des objektivierenden Erzählens auf die Bühne überträgt. Recht – und damit den moralischen Bonus – hat bei ihr immer die Figur, welche gerade spricht. Damit sind Pro und Contra gleichmäßig verteilt – und es ergeben sich Gedankenfreiheiten zum Hauptthema White Fragility.“[…] Insofern liefert diese Premiere auch ein tolles Plädoyer für ein vitales Theater gegen Meinungsbeton und Gesinnungsdiktate.“

Die Deutsche Bühne, 06. MAI 2023

„Die Schauspielerinnen und Schauspieler jeweils in diese differenzierten, teils in sich widersprüchlichen Rollen hineinzuführen, ist Regisseurin Sibylle Broll-Pape vortrefflich gelungen.“ (Bayerische Staatszeitung)

Bayerische Staatszeitung, 12. MAI 2023

Branden Jacobs-Jenkins gewann für „Appropriate“ den Obie Award für das beste Stück. Dieser Auszeichnung ist nur zuzustimmen und die überaus gelungene Inszenierung der deutschen Version des Stücks unter der Regie von Sibylle Broll-Pape ist eine absolute Empfehlung!

Rezensöhnchen, 10. MAI 2023